Rückzahlung von Corona-Hilfen: Unmut im Mittelstand

Unternehmer nach schlechter Nachricht
Unternehmer nach schlechter Nachricht / ©fotosedrik/depositphotos.com

Viele mittelständische Unternehmen in Deutschland fühlen sich von den aktuellen Rückzahlungsforderungen im Zuge der Corona-Hilfen „getäuscht“ oder überrumpelt. Hintergrund ist, dass den Betrieben im ersten Lockdown 2020 umfangreiche Soforthilfen gewährt wurden – ursprünglich als ein Zuschuss ohne Rückzahlungsverpflichtung, sofern die Fördervoraussetzungen ehrlich erfüllt waren. Mittlerweile überprüfen Bund und Länder allerdings im Rahmen von Schlussabrechnungen, ob ein sogenannter Liquiditätsengpass tatsächlich in voller Höhe bestanden hat.


Laut Wirtschaftsministerium gilt: „Wenn nachträglich festgestellt wird, dass die wirtschaftliche Entwicklung erfreulicherweise besser verlief als bei Antragsstellung befürchtet, muss die Unterstützungsleistung anteilig oder in voller Höhe zurückgezahlt werden“​. Das bedeutet: Wer mehr Geld erhalten hat, als zur Überbrückung des realen Engpasses nötig war, soll die „Überkompensation“ zurücküberweisen. Insgesamt schätzt die Bundesregierung, dass etwa fünf Milliarden Euro zu viel ausgezahlt wurden und rund 3,5 Milliarden Euro bereits zurückgeflossen sind – bei 1,5 Milliarden Euro besteht noch Zahlungsrückstand​. Zugleich kritisiert der Bundesrechnungshof die Förderrichtlinien als unklar und uneinheitlich: Es habe an klaren Angaben gefehlt, welcher „Sach- und Finanzaufwand im Einzelnen berücksichtigt“ werden konnte​. Insgesamt sind bislang mehr als 400.000 Unternehmen zur (teilweisen) Rückzahlung aufgefordert worden​.

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Stimmen und Beispiele betroffener Unternehmen

Praktisch jede Branche ist betroffen – vom Handwerk über den Einzelhandel bis zum Gastgewerbe. Viele Unternehmer berichten von großer Verunsicherung und Ärger. So stellte eine Umfrage der IHK Siegen im März 2024 fest, dass 68 % der befragten Händler, Dienstleister und Gastronomen ihre Rückzahlungspflicht nicht nachvollziehen konnten. Ein Unternehmer brachte es auf den Punkt: „Es war in dem Sinne keine Hilfe, wenn es wieder zurückgezahlt werden muss. Der Aufwand und die Kosten haben sich nur verlagert“​. Rund 42 % der Befragten gaben zudem an, die Antragsvoraussetzungen der Corona-Hilfen seien „nicht transparent und nachvollziehbar“ gewesen​. Viele hätten zu Antragstellung schlicht nicht damit gerechnet, das Geld einmal zurückzahlen zu müssen.

Ähnliche Stimmen kommen aus den betroffenen Branchen: Beispielsweise beklagt der Friseurverband Rheinland-Pfalz, dass seit Anfang 2025 dutzende Salons Schreiben der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) mit Rückforderungsbescheiden erhalten. Viele Friseurunternehmer fühlten sich dabei “ungerecht behandelt”: Sie hätten die Soforthilfe stets als Entschädigung verstanden, da ihr Betrieb behördlich geschlossen worden war. Geschäftsführerverbandler Dirk Kleis sagt: „Wir sind damit nicht einverstanden, dass wir überhaupt Soforthilfen zurückzahlen müssen. Wir haben das immer als Entschädigung verstanden.“​. Vor allem im Friseurhandwerk gab es nach der ersten Öffnung im Mai 2020 teils extrem hohe Umsätze – weshalb viele Salons ihre vermeintliche Corona-bedingte Liquiditätslücke rückwirkend nicht mehr nachweisen konnten. Hinzu kommt, dass hohe Hygiene- und Personalkosten oft nicht ausreichend berücksichtigt wurden​.

Auch in anderen Bundesländern formierte sich Widerstand: In Schleswig-Holstein forderte die Investitionsbank SH aktuell 30 Mio. Euro von den Unternehmen zurück, insgesamt sind es bereits rund 189 Mio. Euro aus zwei Rückmeldeverfahren (Stand 1/2025)​. Sebastian Schulze vom Unternehmerverband Nord (UV Nord) beschreibt die Lage so: „Die Rückzahlungsbescheide von Corona-Hilfen sind für viele Unternehmen eine böse Überraschung gewesen. In wirtschaftlich leider nach wie vor trüben Zeiten stellt das einige der betroffenen Unternehmen vor große Herausforderungen.“​. Über 1.700 Betriebe in SH haben bereits Widerspruch eingelegt.

Auch in Baden-Württemberg gibt es Protest: Ein Friseurmeister aus Karlsruhe wurde aufgefordert, 9.000 Euro zurückzuzahlen, weil er nach dem Lockdown „zu viel Geld verdient“ habe. Er wandte sich an Anwalt Marc Pflüger, der inzwischen mehrere Dutzend Kollegen sowie Betriebe aus ganz BW vertritt. Pflüger kritisiert, dass Politik und Behörden „relativ großspurig verkündet“ hätten, zu helfen – danach aber pauschal volle Rückforderungsbescheide verschickt wurden. „Wenn ich darauf vertraue, dass die Politik mir hilft… und zwei Jahre später komplette Rückforderungsbescheide rausgibt, dann ist klar, dass der Ärger groß ist“, so Pflüger​. Zahlreiche Firmen gehen rechtlich gegen Bescheide vor: Allein in Baden-Württemberg klagen laut Landesregierung derzeit über 1.400 Unternehmen gegen Rückzahlungen (Stand 3/2025)​, bundesweit sind es nach Tagesschau-Recherchen inzwischen über 5.000 Klagen​.

Regionale Unterschiede in der Praxis

Die Handhabung der Rückforderungen unterscheidet sich stark zwischen den Bundesländern. Einerseits variierte bereits die Höhe der ausgezahlten Hilfen: Im Schnitt erhielt etwa jeder Antragsteller in Thüringen rund 6.000 €, in Rheinland-Pfalz ca. 7.800 € und in Nordrhein-Westfalen sogar 10.500 € Soforthilfe​. Entsprechend unterschiedlich hoch sind auch die Rückforderungen. Nach Auswertung von Landesdaten soll in Nordrhein-Westfalen inzwischen mehr als die Hälfte aller Antragsteller zu Rückzahlungen aufgefordert werden – meistens nur Teilbeträge​. In Berlin dagegen liegt dieser Anteil bei nur etwa 5 %​. Ähnlich unterschiedlich waren die Genehmigungsquoten: Rund 63 % der beantragten Soforthilfen wurden in RP bewilligt, in NRW waren es 82 % und in Sachsen sogar 94 %​. Diese starken Diskrepanzen erklärt das Bundeswirtschaftsministerium mit der föderalen Umsetzung: Die Länder sollten die Hilfen eigenständig prüfen und auszahlen. So erhielten Betriebe in NRW meist sofort den Höchstbetrag und mussten später nachweisen, ob sie wirklich Anspruch hatten. Berlin setzte hingegen zunächst auf die freiwillige Selbstprüfung der Empfänger – ein Ansatz, der vom Bundesrechnungshof scharf kritisiert wurde​.

Klar wurde in der Tagesschau-Recherche auch: Die Online-Informationen zu den Soforthilfen wechselten in NRW zwischen März und Mai 2020 insgesamt 15 Mal. Beispielsweise wurde dort anfangs angekündigt, dass die Soforthilfe auch dem Unternehmerlohn dienen könne – nur drei Tage später verschwand dieser Passus wieder​. Reiner Hermann von der NRW-Interessengemeinschaft “NRW-Soforthilfe” fordert deshalb eine „faire Berechnung“ nach dem ursprünglich kommunizierten Verfahren​. Insgesamt zeigt sich, dass Bundesländer wie Berlin, NRW, Sachsen, Bayern oder RLP teils sehr unterschiedliche Prüfungskriterien und Rückzahlungsverfahren anwandten, was in der Branche als unzureichend koordinierte bzw. uneinheitliche Praxis wahrgenommen wird​.

Hauptkritikpunkte der Unternehmen

Aus Unternehmenssicht kristallisieren sich mehrere zentrale Kritikpunkte heraus:

Intransparente und sich ändernde Regeln: Viele Unternehmer bemängeln, dass die Anspruchsvoraussetzungen von Anfang an zu unklar formuliert waren und im Nachhinein mehrfach angepasst wurden​. Der Bundesrechnungshof konstatiert „unklare Anspruchsvoraussetzungen“ und bemängelt, dass das Wirtschaftsministerium nicht rechtzeitig klarstellte, wer überhaupt förderberechtigt ist​. Ein Düsseldorfer Gericht wies darauf hin, dass „Fragen-und-Antworten“ und Hinweise auf der Landes-Website teils widersprüchlich waren​. Viele Betroffene sagen: Es sei ihnen nie verständlich mitgeteilt worden, wofür die Soforthilfe genau verwendet werden dürfe, geschweige denn, dass eine Rückzahlungspflicht bestand. So schreibt ein Friseur aus Siegen: „Es wurde nicht genannt, wofür man das Geld verwenden durfte. Das habe ich erst ein Jahr später erfahren“​.

Vertrauensschutz und verspätete Klarheit: Unternehmer fühlen sich im Stich gelassen, weil die Rückforderungen oft erst Jahre nach Auszahlung kamen – lange nachdem viele Hilfsgelder längst ausgegeben waren. Der Bundesrechnungshof warnt, je weiter die Verfahren auseinanderliegen, desto stärker falle der Vertrauensschutz ins Gewicht. Kritisch wird die Frage gestellt, ob der Staat nach so langer Zeit Rückforderungen stellen kann, obwohl die Unternehmen mit den Geldern Planungssicherheit hatten​.

Nicht berücksichtigte Kosten und Aufwendungen: Insbesondere Betriebe, die infolge der Hygieneregeln und Einschränkungen nur eingeschränkt produzieren konnten, sehen die Kalkulation als fehlerhaft an. Beispiel Friseure: Sie mussten Abstand halten und haben hohe Hygieneausgaben, die bei der Rückforderungsprüfung oft nicht angerechnet wurden​. Zudem stehen sie häufig vor der Situation, dass ihr Umsatz nach dem ersten Lockdown plötzlich wieder hoch war – wodurch die ursprünglich angenommene Verlustperiode faktisch kleiner wurde und Rückforderungen ausgelöst wurden.

Psychische Belastung und mangelndes Verständnis: In mehreren Berichten schildern Unternehmer, sie seien fassungslos und wütend. Sie hatten das Geld im Frühjahr 2020 als „geschenktes Geld“ empfunden und erlebten nun, dass es faktisch wie ein Kredit zurückgefordert wird​. Viele formulieren, dass die Hilfen als Entschädigung für erlittene Schließungen gedacht waren und nicht als letztlich rückzahlbare Leistung. Dies führt zu Unverständnis und Frust: „Wir haben das immer als Entschädigung verstanden. Wir sind auch nicht damit einverstanden, dass die Rückzahlung so gemacht wird, wie sie jetzt gemacht wird“, heißt es etwa aus BW. Die Folgen für die Betriebe sind teils existenziell: Laut IHK-Umfrage drohen zahlreichen Firmen wegen der Rückzahlungen „finanzielle Schieflagen“, die Investitionen blockieren und manche Unternehmen bis an die Grenzen der Insolvenz führen können​.

Ungleichbehandlung zwischen Betrieben: Etliche Unternehmer empfinden die Situation als ungerecht, weil sie mit Betrieben verglichen werden, die weniger Hilfen beantragt hatten. In einem Bundestagsantrag (Sept. 2022) wurde kritisiert, dass die föderale Umsetzung zu „eklatanter Ungleichbehandlung“ führe: Fördersätze und Rückzahlungspraktiken seien von Bundesland zu Bundesland sehr verschieden, teils sogar zwischen Unternehmen im gleichen Bundesland vor und nach Regelanpassungen​. Dabei zeigte sich auch, dass Solo-Selbstständige und Kleinstunternehmer oft weniger Rücklagen hatten und die Rückzahlungspflicht sie härter trifft als manche größeren Antragsteller.

Lösungsansätze und politische Diskussion

Vor diesem Hintergrund wird nach Lösungen gerungen. In den letzten Monaten haben sich Politik und Verbände mit Forderungen nach Nachbesserungen zu Wort gemeldet:

Ratenzahlung und Stundung: Viele Bundesländer ermöglichen inzwischen, die Rückzahlung in Raten zu leisten oder bei Notlage zu stunden. So weist die IHK Siegen darauf hin, dass Empfänger der NRW-Soforthilfe Anträge auf monatliche Ratenzahlung stellen können, um die Belastung zu verteilen​. Auch die Förderbanken informieren auf ihren Portalen über entsprechende Zahlungspläne. Allerdings halten manche Unternehmer dies nur für ein „Schönrechnen“ eines Problemes, das grundsätzlich mehr Unterstützung brauche.

Einheitliche Regeln und verlängerte Fristen: Die Bundesregierung kündigte an, einen „vergleichbaren Maßstab“ für Rückforderungen bundesweit anzustreben​. Mit dem Land Berlin wird konkret über einheitliche Kriterien gesprochen. Bereits 2022 gab es politische Vorstöße: So forderte ein Bundestagsantrag der AfD ein sofortiges Verschieben aller Rückzahlungsfristen und verbindliche bundesweite Vorgaben zur Berechnung. Unabhängig davon wächst der Druck auf die Koalition, den betroffenen Kleinbetrieben mehr Planungssicherheit einzuräumen. Dabei geht es auch um Härtefallregelungen – etwa Nachlass bei besonders betroffenen Branchen – und um ein Ende des „Stillschweigens“ über die Rückzahlungen.

Gerichtliche Klärungen: Die Justiz arbeitet weiter an Standardfällen. Vor kurzem bestätigten Verwaltungsgerichte in Baden-Württemberg (Freiburg) erste Urteile, die Rückforderungsbescheide gegen Friseur-Unternehmer aufgehoben haben (Urteil noch nicht rechtskräftig)​. Auch das Oberlandesgericht Düsseldorf erklärte 2023 in Musterverfahren mehrere Rückforderungen als rechtswidrig, weil im Bewilligungszeitraum bestimmte Förderbedingungen galten, die bei der Rückforderung ignoriert worden waren​. Andere Gerichte hingegen haben bereits zugunsten der Behörden entschieden. Solche Präzedenzfälle könnten künftige Entscheidungen prägen und den Druck auf Gesetzgeber und Verwaltung erhöhen.

Klare Kommunikation und Vertrauen: Vertreter des Mittelstands fordern letztlich eine ehrliche Kommunikation über die Rechtslage. Der Vorsitzende der „NRW-Soforthilfe“-Interessengemeinschaft, Reiner Hermann, drängt darauf, „die Berechnung so zu machen, wie sie ursprünglich offeriert war oder wie sie ein normaler Mensch als ungeübter Leser […] verstehen musste“​. In der Koalition wird diskutiert, ob zu Härtefällen gesetzlich etwas geändert werden muss oder ob Hilfen etwa als außerordentliche Erträge steuerlich entschärft werden. Konkrete Gesetzespläne gibt es hierzu bislang nicht.

Politische Bewertung: In einem Bundestagsbericht wurde zuletzt angemerkt, dass das Wirtschaftsministerium bereits 2020 ein Eckpunktepapier veröffentlicht habe, um die Förderkonditionen klar zu machen​. Man betont dort, diese Eckpunkte und Richtlinien seien während der Förderphase nicht geändert worden. Kritiker halten dem entgegen, dass die praktische Kommunikation durch Länder und Informationsblätter vielfach verwirrend blieb​.

Insgesamt bleibt die Lage für viele Mittelständler angespannt: Sie fordern Nachsicht und mehr Fairness. Die öffentliche Debatte dreht sich daher weiterhin um Fragen des Vertrauensschutzes und einer fairen, bundesweit einheitlichen Regelung der Corona-Fördermittel. Eine abschließende Lösung zeichnet sich noch nicht ab – bis dahin kämpfen die betroffenen Unternehmen mit Widersprüchen, Ratenzahlungsanträgen und Klagen gegen die Rückzahlungsbescheide.

Quellen:

Aktuelle Berichte und Pressemitteilungen seriöser Medien und Verbände aus 2024/2025 wurden ausgewertet. Dazu gehören IHK-Umfragen und -Mitteilungen​ (ihk-siegen.de, ​ihk-siegen.de, Beiträge von (ARD/NDR/SWR, ​ndr.de​, swr.de) Recherchen von Tagesschau (WDR/NDR/SZ, tagesschau.de​ ) sowie offizielle Presseinformationen des Bundestags​ (bundestag.de​, tagesschau.de). Alle Zitate sind belegt und nachvollziehbar.

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